Es war an einem warmen Sommerabend in diesem Jahr. Ich setzte mich auf die Terrasse und wollte endlich, nach einer langen und turbulenten Arbeitsphase, beten. Ich sehnte mich nach Zeit mit Gott, wollte einfach beten. Aber als ich saß tobte ein Sturm von Fragen, Gedankensplittern, Plänen und unerledigten Aufgaben in meinem Kopf. Mein Herz pochte unruhig. Beten? Daran war gar nicht zu denken. Ich kriegte kein Wort heraus und keinen klaren Gedanken gefasst. Selbst das Aussprechen all dieser Gedanken vor Gott schien mir unmöglich. Was sollte ich tun?
Mir kam in den Sinn, was ich schon ab und zu erlebte und im Laufe der letzten Monate in Gottesdiensten und Vorträgen anlässlich des „Aufbruch.Bibel“-Jahres empfohlen hatte: nämlich einen Bibeltext auswendig zu lernen.
Die „Bibellese“ führte gerade durch den Philipperbrief. Ich schlug Phil. 2,5-11 auf, jedoch nicht in der geläufigen Lutherübersetzung sondern nach der „Neuen Genfer Übersetzung“. Dadurch erhoffte ich mir frische Gedanken inmitten altbekannter Texte. Ich legte die aufgeschlagene Bibel auf den Tisch, las eine Zeile, zitierte sie, rezitierte sie, lernte die Wörter, kaute die Verse. Ich lerne am Besten, wenn ich mich bewege. Deswegen räumte ich zwischendurch, weiter die Verse aufnehmend, in der Wohnung auf. Ich ging zurück zur Bibel, lernte die nächste Zeile, rezitierte beide, räumte wieder auf, und so weiter und so fort. So machte ich es mit allen Versen. Das dauerte eine Stunde.
Am Ende dieser einen Stunde war ich ein neuer Mensch. Nicht nur die Wohnung war aufgeräumt sondern vor allem mein Kopf. Der Gedankensturm und das laute Pochen des Herzens waren gestillt durch das mächtige und gute Wort Gottes. All das Schwere der Gedanken, hatte ein geringeres Gewicht bekommen. Die Fragen bestanden ja noch, die Pläne lagen ja noch da und die vielen Aufgaben waren unerledigt. Aber ich konnte auf Christus sehen, der (siehe Philipper 2) seine Macht und Gottgleichheit verließ um Mensch zu werden, gehorsam Gott gegenüber, bis zum Tod. Der nun den Namen trägt, der höher ist als jeder andere Name, vor dem sich einmal alle Welt beugen muss und bekennen muss, dass er der Herr ist. Das habe ich auswendig gelernt. Und im selben Moment war mir klar, dass dieser Christus der Herr auch all der Dinge ist, die mich bedrängen. Da musste ich gar nicht mehr alles im Gebet aussprechen. So wirkte das Wort Gottes in mir an diesem Abend und ich konnte Gott nur preisen dafür.
In den kommenden Tagen sprach ich immer wieder diesen Text vor mich her. Er begleitete mich und rutschte tiefer. „learning by heart“ nennen die Engländer das, etwas mit dem Herzen zu lernen. Mir wurde klar, dass dieser Text nicht nur von Christus spricht. Er fordert auch dazu auf, dass die Haltung (Luther: Gesinnung), mit der Christus gelebt hat, unser Miteinander bestimmen soll. Das ist ein hoher Anspruch und ich kann nicht behaupten, ihm gerecht zu werden. Aber immer wieder brach er ein in meinen Alltag.
Wenn ich diesem Text folge, zerstört er jeden Stolz, durchbricht menschliches Machtgefüge und angstbesetzte Verteilungskämpfe. Der Nächste wird nicht als Bühnendekoration meines Lebensplanes missbraucht, sondern er ist ein VIP, „very important person“.
Warum ich das erzähle? Um Gott zu danken für sein Reden mitten im Alltag. Und weil ich zum Auswendiglernen ermutigen will. Solche Texte rutschen tiefer und werden zu einem Schatz in unseren Herzen.