Ich gebe es zu: es kommt vor. Meine Frau erzählt etwas und am Ende eines Satzes bekomme ich noch einige Wortfetzen mit, vielleicht verfängt sich eine Frage oder auch nur ein Nebensatz. Aber im Grunde weiß ich nicht, worum es geht, was sie sagte oder wollte und ich muss sie bitten, sich zu wiederholen. Das ist peinlich, aber immer noch besser, als so zu tun, als hätte ich alles verstanden, wissend zu nicken und dann Antworten oder Kommentare zu geben, die überhaupt nicht passen.
Hinhören will gelernt sein. Es mag Müdigkeit sein, die mich daran hindert zuzuhören. Oft bin ich aber auch nur zu sehr mit meinen eigenen Gedanken beschäftigt. Wir haben gelernt, dass das Hinhören sehr wichtig ist, wenn wir als Ehepaar beieinander bleiben wollen. Wir wissen das. Aber ob wir das immer so praktizieren!?
Medienexperten beklagen, dass immer mehr Menschen aneinander vorbei reden oder mailen. So manche Talkshow belegt diese Behauptung anschaulich. Da tun die Teilnehmer einer Runde lediglich ihre Meinung kund. Aber wo sind die, die interessiert hinhören und gerne auch mal Neues erfahren, etwas, das in ihre bisherige Denke nicht passt?
Hinhören setzt voraus, dass ich meine, etwas Neues lernen zu können. Vor laufenden Kameras das einzugestehen, ist schwierig. Auch in Blogs, Internetforen und Kommentarlisten im Internet wird viel gesagt oder geschrieben. Aber wird auch hingehört, was andere sagen oder schreiben? Oft wird nur „zugetextet“.
Wer lernen will zu hören braucht Zeit und Angstfreiheit. Zeit, um nicht sofort reagieren zu müssen. Zeit, um noch mal nachfragen oder noch mal um die Ecke denken zu können. Zeit ist bekannterweise das Luxusgut unserer Tage! Angstfreiheit, weil Angst (vor Gesichtsverlust oder dem Einstürzen der bisherigen Gedankengebäude) blockiert. Wer ohne Angst ist, hört hin, lernt Neues, Unbequemes oder Überraschendes. Und er ist frei, sich dem Ansturm an Worten zu entziehen, um wieder wirklich hören zu können.
Manfred Lütz hat in seinem Buch „Gott – eine kleine Geschichte des Größten“ den wunderbaren Satz geprägt: „Ideologien haben keine Ohren“. Das ist das Problem jeder abgehobenen, verbarrikadierten und verblendeten Sichtweise. Sie hat nichts mehr zu tun mit der Realität der Menschen. Sie hat schon lange nicht mehr hingehört. Das ist der Vorwurf vieler Menschen an das Christentum. Tatsächlich kann Glaube ideologisch werden, nämlich dann, wenn er keine Ohren mehr hat. Leider schütten viele das Kinde mit dem Bade aus und meinen, Christentum käme ganz ohne Lehre (=Dogma) aus. Das ist großer Unfug. Christus hat gelehrt, Paulus hat gelehrt, denn Lehre gibt Orientierung und Wahrheit. Nur Lehre die keine Ohren hat, die kann keiner gebrauchen.
Der Gott der Bibel, die Quelle aller Wahrheit, neigt sein Ohr zu uns Menschen (Psalm 31,3, 34,16 u.a.). Wir glauben nicht an ein Prinzip und leben nicht von einer Ideologie. Wir glauben an den lebendigen Schöpfergott. Er hat alle Autorität und hört hin. Beides zugleich! Ich halte das für ein großes Wunder. Und für Gottes Kinder gilt das oberste Gebot: „Höre Israel, der Herr, unser Gott, ist der Herr allein.“ (Mk. 12,29).
Ich will lernen zu hören. Ich will hören auf Gott. Ich will hinhören, wenn Menschen mit mir sprechen, hinhören in Predigten oder Liedern. Ich brauche Wachheit, Zeit und Angstfreiheit.