Wie ein Diamant

Als Alain Resnais starb, war mir sein Name völlig unbekannt und hatte für mich keine Bedeutung. Ich sah die Abendnachrichten und ein Bild des 91-jährigen französischen Starregisseurs, der am 1. März 2014 starb. Schauspieler, die mit ihm zusammenarbeiteten, wurden interviewt. Ich horchte auf, als ein Mann, der mit Resnais zusammengearbeitet hatte, folgendes sagte: „Resnais legte oft seinen Kopf in die Hände und schaute Dich an, als seist Du ein Diamant. Und das machte dich zu einem Diamanten!“.

Was ist das für ein erstaunlicher Satz. Ich malte mir die Situation ein wenig aus. Dieser Regisseur behandelte seine Leute wie Diamanten, er sah sie so an. Er schätzte sie als wertvoll ein. Er behandelte sie so. Die Schauspieler empfanden sich selber vielleicht ganz anders: nicht perfekt, fehlerhaft, hässlich, untalentiert. Und sie waren es vielleicht auch – mehr oder weniger. Aber durch den Umgang mit diesem Mann wurden sie verändert. Sie fingen an zu strahlen und konnten ihr schauspielerisches Talent ganz ausleben. Das Potential, das in ihnen lag, konnten sie entwickeln. Nicht Angst bestimmte sie, sondern Freiheit. Sie konnten sich entfalten und wurden zu dem, wie sie angesehen wurden.

Nun, es wird vielleicht auch Schauspieler geben, die das anders erlebt haben. Leute, die gänzlich ungeeignet waren oder die vielleicht mal einen Konflikt mit dem Mann hatten. Das weiß ich nicht. Ich kann mir nur vorstellen, dass solche Leute am Todestag eher nicht zitiert werden. Aber davon abgesehen beschreibt der Satz doch eine ganz wunderbare Lebenserfahrung, die zumindest einige gemacht haben. Eine Lebenserfahrung, die wir auch woanders machen können.

Wenn sich Ehepartner auch nach 30 Ehejahren wertschätzen, sich gegenseitig Liebe zeigen, sich nicht nur „Schatz“ nennen, sondern auch wie einen Schatz behandeln und ansehen, dann werden sie unter diesem Einfluss strahlender. Und umgekehrt gilt dasselbe: ein Mensch, der immer nur das Gefühl vermittelt bekommt, nichts zu sein, nichts zu können, nicht gut genug auszusehen, der sieht dann auch sehr bald „alt“ aus.

Mir fällt das immer wieder auf, wenn Mitarbeiter gelobt werden. Wir Deutschen haben eine überbordende Sorge davor, jemanden zu sehr zu loben, denn der könnte dann ja meinen, nichts mehr lernen zu müssen. Oder wir haben Sorge, das Lob sei nicht echt. Das gibt es, dieses oberflächliche Loben, das von weitem schon nach Manipulation statt nach Wertschätzung riecht. Aber Hand auf’s Herz: ist das unser Problem in Deutschland? Ganz sicher nicht. Unser Mangel ist wohl eher, dass wir uns zu wenig trauen, einander gutes zu sagen, Wertschätzung auszudrücken. Wir meinen sofort, der andere würde dann vielleicht stolz werden. Oder er würde dann zu wenig an seinen Schwächen arbeiten. Das ist Unsinn und gilt nur für die allerwenigsten Menschen.

Wenn Mitarbeiter gelobt werden, konkret, echt, wertschätzend, dann blühen sie auf. Das gilt mir genauso wie (fast) jedem anderen Menschen. Dazu gehört jemand, der das auch von Herzen meint! Der Satz mit dem Diamanten spornt mich an. Ich glaube, dass ich da noch viel zu lernen habe.

Und was ist mit Gott? Er sagte seinem Volk: „Du bist kostbar und wertgeachtet in meinen Augen!“ (Jesaja 43,4). Das besondere der Agape, der Liebe Gottes, ist, dass sie liebt, auch wenn wir uns ganz anders verhalten, als es gut ist. Sie gilt, wenn wir Dinge tun, die nicht lobenswert sind. Die Liebe Gottes durchbricht ja gerade den Teufelskreis, der nach unten zieht. Die Liebe Gottes verurteilt die Sünde, sie gilt gerade dem Sünder (Römer 5,8) und sie sieht auch in ihm noch den Begabten, den gut geschaffenen Menschen. Die Liebe Gottes trägt alles weg, was zerstört und kaputt macht. Gott selber war in Jesus und versöhnte die Menschen mit sich. Es hat ihn das wertvollste gekostet, seinen geliebten Sohn. Der starb aus Liebe. Und in diesem Sinne und darauf basierend könnte das Bild passen: Gott legt seinen Kopf in die Hände, er schaut Dich und mich an und betrachtet uns wie einen Diamanten!

6 Kommentare zu „Wie ein Diamant

  1. Ein ganz wunderbarer, wichtiger Text! Man spürt, dass er von Herzen gekommen ist. Ich habe ein „Novum“ gemacht und das erste Mal einen anderen Text auf meinen Blog „rebloggt“; ich hoffe es ist ok 🙂

  2. Danke, Ansgar! Was für ein wunderbares Vorbild, wie wir mit Menschen umgehen können.Wo man oft Leuten begegnet, die anderen ihr Selbstwertgefühl nehmen. Und sie sind doch nach dem Bilde Gottes geschaffen!Ich wünsche mir so, dass viele merken, wie wichtig sie in Gottes Augen sind!

  3. Sehr schöner Beitrag, lieber Ansgar!
    Das erinnert mich an meine Erfahrungen in meinem Lehrerdasein, wo ich durch Ermutigung und Lob meine Schülerinnen und Schüler viel besser zu Höchstleistungen anspornen konnte als durch Kritik.

  4. Dieser Beitrag: Wie ein Diamant ist etwas so kostbares.Wie der Regisseur einem Mitarbeiter, der denkt Mittelmaß zu sein, das Gefühl gibt ein Diamant zu sein.Es hat mich sehr bewegt und mir gezeigt Wieviel kostbarer und wertvoller wir für unseren HERRN sind.Er schleift an uns bis wir am Ende so wunderbar sind wie ein brilliant.Es ist so wichtig unseren Geschwister in der Gemeinde so anzuschauen wie dieser Regisseur es tat.Mir hat das schon jemand beim Feg Kongress vorgelebt.lg und Gottes reichen Segen. Katharina 🌹👑

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