Über das Empfinden darüber, was Krach und was Musik ist, kann man ja eigentlich nicht streiten. Wir tun es aber trotzdem. Wenn ich früher für meine Ohren wunderbare Musik hörte, kommentierten das andere schon mal mit den Worten: „Mach den Krach aus!“. Ich fand diese Bezeichnung unpassend, wusste aber, was gemeint war. Heute ertappe ich mich bei dem Gefühl, es handle sich um Krach, wenn andere Leute etwas hören, was sie für Musik halten. So ändern sich die Zeiten. Aber eins bleibt gleich: Klänge bleiben umstritten.
Eine andere Musik ist Kindergeschrei, nämlich Zukunftsmusik. Dass Eltern vom Schreien der Kinder auch einmal genervt sein können ist klar. Aber dass wir in einer Gesellschaft leben, in der immer wieder dagegen geklagt wird, wenn Kindergärten in der Nähe gebaut werden sollen, ist ein Zeichen für die falschen Prioritäten. Für mich gilt der Satz: Kindergeschrei ist Zukunftsmusik. Auch wenn es mal laut sein kann und auch wenn es Schreier gibt, die es übertreiben und denen man mal sagen kann, sie sollten ruhig sein: so lange Kinder noch zu hören sind, ist die Zukunft angebrochen.
In Dillenburg lebten wir 10 Jahre direkt an einem Schulhof. Ob vor Schulbeginn, in den Pausen oder nachmittags, es war immer etwas los. Für uns war der Geräuschpegel ein gesundes Zeichen von Vitalität. Es gab auch Momente, in denen wir uns gestört fühlten, aber was sollte es? Wenn ich von niemandem gestört werden will, muss ich auf eine einsame Insel ziehen. Leben, gemeinsames Leben, Vitalität und Kinder, ja jede Zukunft ist immer auch eine Herausforderung, ist immer auch Störung der eigenen Wünsche und Gewohnheiten. Wir dürfen dem Druck solcher Klagen nicht nachgeben. Mehr noch: wir sollen Kindergeschrei willkommen heißen und darin Musik hören, Zukunftsmusik.
”Geräuscheinwirkungen, die von Kindertageseinrichtungen, Kinderspielplätzen und ähnlichen Einrichtungen wie beispielsweise Ballspielplätzen durch Kinder hervorgerufen werden, sind im Regelfall keine schädliche Umwelteinwirkung. Bei der Beurteilung der Geräuscheinwirkungen dürfen Immissionsgrenz- und -richtwerte nicht herangezogen werden.“
So klingt Gesetzestext. Er ist leider nötig, weil offensichtlich viele nur damit beschäftigt sind, für sich allein zu denken und ihr Leben für sich alleine einzurichten. Wenn Kinder Störfaktoren sind dann ist was schief. Und wenn es beim Kinderkriegen oder nicht kriegen nur um wirtschaftliche Vor- und Nachteile geht, dann läuft was falsch. Bei einem Mittagessen sprachen wir mit Freunden über die sog. „Ökonomisierung“ unserer Zeit. Die Tochter fragte, was das denn sei. Der Vater erklärte es ihr. „Unter ökonomischen Gesichtspunkten, bist Du ein Nachteil. Du kostest Geld. Ich habe einen wirtschaftlichen Nachteil. Was wir für dich ausgeben, haben wir nicht mehr für uns. Also, wenn Ökonomisierung alles ist, dann hätten wir dich nicht haben dürfen“. Aber es war klar: Darum ging es eben diesem Vater nicht. Er liebt seine Tochter, egal was es kostet. Und die Augen seiner Tochter sind ihm mehr wert, als die wirtschaftlichen Nachteile. Als meiner Frau Susanne und mir im letzten Jahr Weihnachten von drei befreundeten Kindern ein Weihnachtslied gesungen wurde, kamen uns die Tränen, weil wir empfanden, dass das das schönste Weihnachtsgeschenk war, was man uns geben konnte. Es war sozusagen einstudierte und geordnete Zukunftsmusik, auch eine schöne Alternative zu Kindergeschrei. Diese Lieder brauchen wir.